Rückschlag für Uber & Co:
LAST-MINUTE-KOMPROMISS FÜR EU-RICHTLINIE
Der Kampf um eine faire Definition der Arbeitsrechte für die Arbeiter der Plattformen galt schon als verloren – bis Estland und Griechenland gestern ihre Blockadehaltung aufgaben und so doch noch ein Kompromiss die Abstimmung überstand. Jetzt wurde eine Plattformarbeitsrichtlinie verabschiedet, bei der auch zwischen traditionellen Formen der Vermittlung (beispielsweise Taxizentralen) und Plattformarbeit (beispielsweise Uber-Partner) unterschieden wird.
Bei einem Treffen der EU-Arbeitsminister am gestrigen Montag haben die EU-Länder doch noch eine Plattformarbeitsrichtlinie verabschiedet. Die Vertreter aus Estland, dem Heimatland von Bolt, und Griechenland, die sich bisher enthalten hatten, stimmten diesmal „im Geiste des Kompromisses“ dafür. Damit wurde eine Sperrminorität gebrochen, die sich noch Wochen vorher dadurch ergeben hatte, dass die Franzosen und die Deutschen sich von Anfang an der Stimme enthalten hatten – und bei diesem Abstimmungsverhalten geblieben sind.
„Das war sprichwörtlich ein Erfolg in der letzten Minute der Nachspielzeit,” begrüßte Michael Oppermann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Taxi und Mietwagen e. V. (BVTM), die Entscheidung. „Dies ist ein guter Tag für unsere Fahrerinnen und Fahrer, für fairen Wettbewerb und für die Europäische Union. Wir begrüßen, dass sich am Ende doch noch eine Mehrheit für Regeln und gegen die Ausbeutung durch Plattformen gefunden hat. Die Europäische Union stellt sich damit auf die Seite der Fahrerinnen und Fahrer, fordert faire Arbeitsverhältnisse ein und verteidigt die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft. Ungebremstem Plattformkapitalismus stellt sie sich entgegen. Wir danken allen Kräften in der Europäischen Union, die diesen Erfolg möglich gemacht haben.“ Am späten Nachmittag hatte Oppermann bereits Gelegenheit, mit dem Europa-Abgeordneten Dennis Radtke zu telefonieren und ihm zum Erfolg zu gratulieren.
Taxi Times sprach mit Oppermann darüber, wie das jetzt doch noch verabschiedete Dossier die spezielle Frage regelt, ob Soloselbständige, die bei Taxizentralen fahren, nun auch unter die Richtlinie fallen. Nach Oppermanns Analyse unterscheidet der Text zwischen traditionellen Formen der Vermittlung und Plattformarbeit. „Insofern sind auch weiterhin soloselbständige Taxiunternehmer möglich. Ferner legt er die genaue Abgrenzung in die Hand der Nationalstaaten. Zur Scheinselbständigkeit gibt es in Deutschland bereits detaillierte Regeln, die auch klar zulassen, dass Taxiunternehmer Soloselbständig sein können. Insofern ist das als erfolgreich zu bewerten“, so Oppermanns erste Einschätzung. Der Text schiebe aber einem Geschäftsmodell einen Riegel vor, bei dem Uber mit selbstausbeutenden Soloselbständigen arbeitet. „Kommt natürlich auf die Details an, aber das ist erstmal gut“, sagte Oppermann gegenüber Taxi Times.
Die Wendung in letzter Minute ermöglichte nach über zwei Jahren politischen Gerangels und aggressiver Lobbyarbeit von Uber & Co. in Brüssel und den jeweiligen Landeshauptstädten die Verabschiedung des Dossiers. Die neue Richtlinie soll die wachsende Gig-Economy europaweit regulieren und die Beschäftigungsrechte für mehrere Millionen Arbeitnehmer, die im Moment noch scheinselbstständig arbeiten, sichern. Das verabschiedete Dossier enthält auch ein Kapitel über algorithmisches Management am Arbeitsplatz, das ein vollständiges Verbot der Verarbeitung bestimmter Datensätze, einschließlich des psychischen Zustands, der Religionszugehörigkeit oder der sexuellen Orientierung, aber auch privater Gespräche oder jeglicher Informationen außerhalb der Plattformarbeit der Person verankert.
„Dies ist ein bedeutsamer Tag für Gig-Arbeiter“, sagte der für die Angelegenheit zuständige Kommissar für Beschäftigung und Soziales, Nicolas Schmit (Luxemburg), nach der Abstimmung. Die Richtlinie muss nun im EU-Rat und im Plenum des Europäischen Parlaments offiziell ratifiziert werden – was keine Probleme bereiten sollte. Die Länder haben dann zwei Jahre Zeit, das Gesetz in ihre eigenen nationalen Gesetzgebungen zu integrieren.
Laut Nachrichtenportal Euractiv und belgischen Medien war es, bis die griechischen und estnischen Minister bei der Sitzung am Montag das Wort ergriffen, unmöglich zu sagen, wo deren Stimmen landen würden. Beide Länder waren lautstarke Skeptiker der letzten Version des Dossiers und verwiesen auf Rechtsunsicherheit und Konflikte mit ihren eigenen nationalen Arbeitsgesetzen. Sie hatten sich im vergangenen Monat zusammen mit Frankreich und Deutschland zweimal bei getrennten Treffen der EU-Botschafter der Stimme enthalten und damit gemeinsam eine Sperrminorität gebildet und in Brüssel Befürchtungen geweckt, dass die Angelegenheit nie ans Licht kommen würde.
Aber „im Geiste des Kompromisses“ und im Bewusstsein, dass das Ministertreffen, um es mit den Worten der belgischen EU-Ratspräsidentschaft auszudrücken, „entscheidend“ für die Verabschiedung eines Textes war, änderten Estland und Griechenland im allerletzten Moment ihre Stimmen – und ebneten damit den Weg für die endgültige Verabschiedung der Richtlinie. „Vielen Dank für die Überraschungen in letzter Minute“, sagte der stellvertretende belgische Premierminister Pierre-Yves Dermagne nach der Abstimmung, während die Minister klatschten und jubelten.
In mehr als zweijährigen Verhandlungen hatte sich die Plattformarbeitsrichtlinie – der erste EU-Vorschlag zur Regulierung der Gig Economy in der gesamten Union – zu einem der umstrittensten EU-Dossiers entwickelt. Verhandlungsführer der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des EU-Rats einigten sich Anfang Februar auf eine abgeschwächte Version der Richtlinie – die Mitgliedstaaten stimmten im vergangenen Monat zweimal dagegen, da Paris, Tallinn, Athen und Berlin mit ihren Enthaltungen eine Mehrheit bei einer qualifizierten Abstimmung blockierten.
Am Freitag, dem 8. März, stimmten die EU-Botschafter erneut negativ ab, wobei Frankreich für Aufruhr sorgte und eine Reihe von Änderungen am Text vornehmen wollte, die die wichtige gesetzliche Vermutung über den Beschäftigungsstatus der Arbeiter geschwächt hätte.
Im Rahmen der vorläufigen Vereinbarung vom Februar wurden jedoch Kriterien zur Angabe der Unterordnung aus dem Text gestrichen, und die Mitgliedstaaten waren lediglich verpflichtet, in ihren nationalen Systemen eine Beschäftigungsvermutung einzuführen, damit deren Umsetzung die Berücksichtigung von Arbeitnehmern erleichtern würde für eine Neuklassifizierung als Status quo.
Anfang März enthielt sich Deutschland aufgrund interner Machtkämpfe in der Koalition erneut der Stimme. Die Franzosen unterdessen erklärten, sie würden ihre Stimme zurückhalten, bis die Kommission weitere rechtliche Klarstellungen vorlegt. Andere skeptische Länder folgten diesem Beispiel jedoch nicht, so dass die beiden größten Länder der EU isoliert blieben.
In Bezug auf wichtige Entscheidungen, die von einem Algorithmus beeinflusst oder getroffen werden, wie beispielsweise Vergütung, Kontosperrung oder Entlassung, geht der Text über das hinaus, was das EU-Datenschutzrecht, die DSGVO, vorsieht. Das Abkommen stellt ausdrücklich klar, dass solche Entscheidungen immer von einem Menschen getroffen werden müssen. (Taxi Times/wf)
Beitragsfoto: Wim Faber